Lyrik

Lyrik ist, wenn die Zeilen vor dem Rand aufhören.

   
Bilder und Worte

Die Beschäftigung mit Bildern, das Sehen in Bildern hat mich nicht nur bei meiner Studienwahl (Kunstgeschichte) beeinflusst, sondern auch dazu geführt, mich zunehmend der Lyrik zuzuwenden. Die Lyrik verdichtet das Erlebte und Gesehene und schafft dennoch durch die Linearität des Textes eine zeitliche Spannung, die eine andere, parallel stehende Entwicklung der inneren Geschichte des Bildes nachvollzieht. Aus der Spannung zwischen Stehendem - Beobachtung, Empfindung, Erinnnerung- und sich Bewegendem - Geschichten, Gesten, Erregung - ensteht ein Dialog, ebenso wie zwischen Wort und Bild.

Mich reizt dieser Dialog, der Abgleich der Geschichte im Bild mit der des Textes, mit dem Bild im Gedicht und seinem Pendant auf der Leinwand. Aus diesem Grund habe ich bereits eine Serie an Gedichten zu abstrakten zeitgenössischen Bildern geschrieben. Aus einigen dieser Gedichte entstanden dann neue Bilder und Skulpturen der Künstler.


Seneszenzen

Ein Schwerpunktthema meiner schriftstellerischen Arbeit ist die Beschäftigung mit der Würde des Alters. Als ich im letzten Jahr den italiensischen Maler Andrea Martinelli kennenlernte, verband uns sofort das Interesse an dem, was er für seine Bilder im Titel „Senescenze" versuchte zu beschreiben. Martinelli arbeitet seit einigen Jahren an überlebensgroßen, hyperrealistischen

Portraits alter Menschen, im Besonderen seines kürzlich verstorbenden Großvaters Dino. Die Wortschöpfung „Seneszenzen" möchte ich mit „Erscheinungen des Alters" übersetzen.

Mein Anliegen ist es, mich über die Betrachtung der Bilder den möglichen Erscheinungen des Alters zu nähern, sie zu erspüren, zu erfinden, woraus sie sich zusammensetzen, wie sie sein könnten. Ich bin auf der Suche nach sich manifestierenden Geschichten in der Physis sehr alter Menschen. Es geht mir hierbei nicht über den Verfallsprozess einer Existenz, sondern um den inneren Reichtum, der über die Kunst rückwirkend sichtbar gemacht werden und über Worte neu emanieren kann.

Begegnung

Süßes Auge komm
näher, schwimm an
mein Blut, schmeckt deinen
Zucker, zarte Hülle
duftest wie Watte
wie Rosenwürfel
ich seh dich nicht
ich riech nur
verlieb mich und
schreibe Liebe an
deine Pupillen, deinen
Federstrich unter alles,
was mich ausmacht,
jetzt, nach all den Tastversuchen,
Hinterglasgewimmer,
jetzt auf einmal rosa
kornblau durch meine Adern
geht, schau doch












Schädelstätte

Der Raum der Unruhe
umschlossen vom Atlas
der Gedanken.
Weit über uns hinaus
denkend, fühlend, ersterben wir
uns unsere Zukunft
und lagern uns ab
im knöchernen Köcher unserer Seele
bleiben wir zusammen.

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